Unten in des Deutschen Reiches südlichen Landen feiert der Bauer alljährlich seine Kirchweih. „Kirta“ nennt er’s. Es ist ihm ein Erinnerungsfest an die Einweihung seines Dorfkirchleins, und das ganze Völkchen des Ortes und der umliegenden Gemeinden verleiht durch reges Mitfeiern dem Tag eine besondere Bedeutung. Ursprünglich gab es natürlich nur bei Einweihung oder Wiedereinweihung des Gotteshauses eine Kirmes, doch brauchte der südliche Charakter öfter ein solches Volksfest und schuf sich so die jährlich wiederkehrenden Erinnerungstage.

Bei uns in Randau hätte man im 19. Jahrhundert oft genug Kirchweih in des Wortes erster Bedeutung feiern können. In was für einem baulichen Zustande die Kirche zunächst war, und wie merkwürdig Bau und Ausbesserung betrieben wurden, ist kaum glaublich. Da taucht 1801 der Plan auf etwas für die Erneuerung des Gotteshauses zu tun. 1807 findet sich auch schon der erste Kostenanschlag. 1811 scheint es höchste Zeit zu sein. Denn – wie der Superintendent Rathmann an die Regierung berichtet – ist der Turm aus seiner senkrechten Stellung gewichen. Auch müsse das Gebäude erweitert werden. Vom März 1812 stammt die Bemerkung, daß der Kirchenpatron von Alvensleben keine Notiz vom Kirchenbau nähme, daß Reparatur und Erweiterung aber nicht länger hinausgeschoben werden könnten. So soll denn der Departementsbaumeister die Vorbereitungen in die Hand nehmen. So viel sich dann ermitteln läßt, ist dieser Erneuerungsbau endlich 1821 vorgenommen. Der Turm wird ganz neu aufgeführt und zwar über der Kanzel an der Ostseite. Das Uebrige wird erweitert und mit dem nötigen Licht versehen. Man nimmt eigentlich an, daß dies eine Weile vorgehalten haben könne. Dem widerspricht eine Rechnung eines Zimmermeisters vom 15. März 1833, in der es heißt: „Bei Abbruch der alten und Wiederaufbau der neuen Kirche zu Randau ward es nötig, daß ein Wächter 24 Wochen angestellt wurde.“ All das fällt in die Amtszeit des Pastors Wilhelm Theune, der von 1784 bis 1837 in Randau das Wort Gottes verkündete. Auch er liegt mit seinen beiden Frauen bei der Kirche begraben, und noch heute künden die drei Grabsteine ihre Namen.

Theunes Nachfolger Flacke erlebt auch so einiges mit der Kirche. Eine Visitation vom 7. Dezember 1845 ergibt die Schadhaftigkeit des Turmes und Daches, welches in Menge Schnee- und Regenwasser durchläßt. Vier Jahre später sind die Anschläge da. Doch 1849 ist schon ein richtiger Bauplan entworfen, und der Patron Amtsmann Bachmann ist auch mit dem Umbau einverstanden. Am 6. September 1849 reicht der Bauinspektor einen interessanten Bericht über die Kirche ein, in dem wir unter anderem lesen:

„Der Turm der Kirche zu Randau ist aus der Altarnische einer älteren Kirche in der Art gebildet, daß drei Mauern derselben beibehalten, der halbrunde Abschluß aber abgebrochen wurde, wofür eine gerade Mauer aufgeführt worden ist. – Was den Stil anbetrifft, so ist die ältere Kirche, welche wahrscheinlich byzantinische Motive enthielt, vollständig romanisiert worden. Schwere Gesimse scheinen die kleine Kirche erdrücken zu wollen. Der Turm reicht nicht über das Kirchendach hinaus, ist flach abgedeckt. Es sind daher auch weder die Glocken im Dorfe zu hören, noch die Zifferblätter zu sehen. Altar und Kanzel stehen zwar richtig orientiert, der Sitte entgegen aber vor und unter dem Turme. Es ist leicht zu erachten, daß durch diese Umformung der christ-kirchliche Charakter des Gebäudes gänzlich verloren gegangen ist, auch das Klima hat sich mit den flachen Konstruktionen und weit ausladenden Gesimsen nicht befreunden können und den neuen Turmaufbau so gründlich zerstört, daß eine Hauptreparatur notwendig geworden ist, auch die Glocken schon herunter genommen und auf dem Kirchhofe aufgestellt werden mußten.“

Der Friedhof lag früher neben der Kirche, wo sich heute der Pfarrgarten befindet. Verschiedene Funde deuten darauf hin. 1849 fanden die Beerdigungen wohl schon außerhalb des Dorfes statt.

Also 1821, 1833 und 1850 sind die drei Kirchweihjahre aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Die Arbeit des letzten Baues war besser und haltbarer ausgeführt, so daß nach den unruhigen Jahres der Bausorgen eine Zeit der Stille eintrat. Auch Paul Hennige senior hatte in den ersten zwanzig Jahren seines Besitzes diese Quellen des Aergers nicht zu fürchten. Mit Pastor Freyer ist Ruhe in das Pfarrhaus eingezogen, die nur von Zeit zu Zeit durch Kindergeschrei unterbrochen wird. Zu Münnichs Zeit würde man gesagt haben: Er erzeugete in einer dauerhaften und gesegneten Ehe 21 Kinder.

Am 1. Februar 1885 tritt an seine Stelle Berthold Gutsche. Sein körperliches Befinden und mancherlei Sorgen hinderten ihn an der Ausführung seiner guten Pläne: Kinderbewahranstalt, Darlehnskasse, Einrichtung von Eltern- und Familienabenden. Auch stand ihm hindernd im Wege, daß er nicht recht in und mit der Gemeinde lebte, sondern einsam und abgeschlossen. Am 1. Oktober 1905 tritt er in den Ruhestand. Sein eigenstes Werk ist die Gründung einer Schulsparkasse, die bis zum heutigen Tage einen außerordentlichen Aufschwung genommen hat und ihrem Schöpfer die stete Dankbarkeit der Randauer sichert. Seine Amtszeit bringt noch eine Neuerungen am und im Gebäude der Kirche. Im Jahre 1886 wird der Turm und Schiff abgeputzt, das Innere mit schwarz-weißen Fliesen belegt. Gleichzeitig errichtet man einen Vorbau am Westeingang, in dem jetzt der Stein des Ritters von Alvensleben Platz findet. Die Arbeiten werden zum erstenmal von der Magdeburger Bau- und Kreditbank ausgeführt, die sich seitdem oftmals in den Dienst einer Verschönerung des Randauer Bildes gestellt hat. 1884 hatte der Patron eine neue Orgel geschenkt, die am Palmsonntag zum erstenmal ihre Stimme zur Ehre Gottes ertönen ließ.

Vieles, was Gutsche Gutes geplant, findet seine Verwirklichung unter seinem Nachfolger Otto Lobitz. Der Geist des 20. Jahrhunderts zieht auch durch unsere kleine Gemeinde und kommt zum Ausdruck in so manchem, was durch des Seelsorgers vermittelnde Hand auf sozialem Gebiete nutzbringend zur Tat wird. Doch wir wollen vorerst noch nicht unser Ziel aus den Augen verlieren, sondern unsere Aufmerksamkeit dem Kirchbau seit der Wende des Jahrhunderts widmen.

Große Jahre – 1908 und 1911! Wir dünken sie wertvoll und wichtig. Wer die Veränderungen mit erlebte, wer Zeuge war, mit welchem Eifer und welcher Liebe jeder vom Aeltesten bis zum Jüngsten, vom Patron und Bauherrn bis zum Maurer zum Besten tätig war, der ahnt, daß hier ein unvergeßlicher Baustein war, der eine Lücke zwischen Gut und Dorf, zwischen Arbeitgeber und -nehmer füllte. Das schlichte, liebe Kirchlein war es, das die Herzen aller einte in dem Wunsche der Gottesfurcht und dem Vertrauen auf eine glückliche Zukunft einen Tempel zu errichten, der fern von aller prunkenden Gefallsucht ein Sinnbild sei der einfachen, geraden Natur unserer Bauern.

1908. – Ein letzter Gottesdienst am 20. Juni. Die altersschwache Decke hängt auf die andächtigen Zuhörer herab, als mahne sie mit ihren Rissen und Brüchen, man solle ihrer doch auch wieder gedenken. Einen letzten Gruß singt die Orgel ihrer alten Behausung – dann beginnt die Arbeit. Schon sind Ausschachtungen für eine Heizungsanlage vorgenommen, bei denen man auf die Särge der Familie Theune stieß. Die irdischen Reste wurden auf der anderen Seite des Einganges wieder eingebettet, wo auch die Steine ihre Aufstellung gefunden haben. Das Heer der Maurer und Zimmerleute hält seinen Einzug und nun entsteht langsam wie ein Phönix aus seiner Asche neue verjüngt unser Gotteshaus. Es sei mir erspart, von dem einfachen Reiz und der schlichten Schönheit des Innern zu sprechen. Dem Leser wird ein Blick auf die Bilder mehr sagen als meine Feder. Was Zimmermann und Maler Gutes vermochten, sie leisteten es hier. Die Gemeinde nahm teil an allem. Hochherzige Spenden flossen dem erstehenden Bau aus Dorf und Gut zu. Und nicht nur Randau schmückte so sein Wahrbild. Auch Freunde und Gönner aus Magdeburg taten des Guten gar viel. Was soll ich hier einzeln Namen und Gaben anführen? Sie leben im Herzen der Randauer sicherer und treuer bewahrt. Zwei neue Glocken krönen den Bau. Nach feierlicher Weihe draußen unter Gottes Himmel treten sie die Reise nach ihrem luftigen Ehrenplatz an. – Und dann sprachen sie zum erstenmal in vollem Ton zu unserm Herzen, als Festgäste und Gemeinde unter Vorantritt der Geistlichkeit, mit Herrn Generalsuperintendenten D. Vieregge an der Spitze, am 27. September zur Weihe des Hauses schritten. Ein feierlicher Festgottesdienst – das große Werk ist vollendet.

Ende Juli 1911. – Heiße Sommertage haben die Aecker und Wiesen gedörrt. Der Landmann klagt. Regen ersehnt sein Sinn die durstenden Fluren zu laben. Tag um Tag vergeht. Die Sonne glüht und kein Lüftchen gibt Hoffnung auf das ersehnte Maß. Da endlich – es ist der 26. Juli – kommt Leben in die erschlafften Gemüter. Seht ihr die Wolken? Sie nah’n! Freut euch, ihr Felder, der Himmel sendet erquickenden Regen! Mit dumpfem Grollen schieben sich die schwarzen Ballen langsam dahin – schon beginnt das Ungewitter. Es steht gerade über unserer Insel, einen Ausweg suchend über einen der beiden Elbarme. Da – ein Blitz, ein kurzer, heftiger Knall, daß alle Häuser zu beben scheinen. Bleich sieht man sich an. Wen traf dieser Unglücksschlag? Da gellt ein Ruf: „Die Kirche brennt!“ Schon umzüngeln gierig Flammen den Turm. Alles eilt herbei, das Kleinod zu bewahren. Vergebene Müh‘. Heldenmutig nehmen sie den Kampf mit den Elementen auf. Doch die ungeübte Kraft ist einer solchen Arbeit nicht gewachsen. Einer Riesenfackel gleich, brennt der Turm, bis seine Spitze völlig in sich zusammenbricht. Da naht als Retter in höchster Not Hilfe aus Magdeburg. Die wackeren Männer zwingen des Feuers Gier. Nach harten Anstrengungen erlischt der Brand. Doch welch Bild des Jammers! Der ragenden Spitze beraubt, starrt uns aus hohlen Augen ein Mauergespenst entgegen. Was hilft das Klagen? Es erstehe denn neu, was Feuers Gewalt zerstörte!

Entschlossen zeigt sich das Dorf. Bald überträgt es dem Patron, der ihm vor drei Jahren die neu ausgebaute Kirche geschenkt hatte, den Aufbau des Vernichteten. Noch im Herbst des Jahres beginnt der neue Turm zu wachsen. Aber wie anders! Wuchtig steigt er gen Himmel, und trotzig bleibt seine Form. Jetzt entspricht er in Stil und Ausführung so ganz dem massigen Mittelschiff des Gotteshauses. Zwar findet er zunächst manchen Gegner im lieben Randau, doch wird sein stilgerechter Bau sich bald die Herzen aller Einsichtigen erobert haben. Die neuen Glocken waren bei dem Brande völlig zusammengeschmolzen. Von der Familie des Kirchenpatrons zum zweiten Male gestiftet, prangen sie wieder über der neu verschönten Kirche. Und als sie nun zur Weihnachtszeit wieder ihre Stimme erschallen ließen, da war Freude und Jubel in Randaus Herzen, und mancher gedachte der Verse, die den ehernen Mantel der einen schmücken:

 „Läute Glocke, läute Frieden,

Läute Ruh‘ in jedes Herz,

Endet einst mein Tag hienieden

Läute du mich heimatwärts!“